Walckerfreunde e. V.

Zur Walcker-Orgel

Die Walcker-Orgel der Christuskirche ist unter den Orgeln Heidelbergs das einzig erhaltene sinfonisch-romantische Kircheninstrument. 1903 wurde sie zusammen mit der Kirche eingeweiht - erbaut von der Firma Walcker aus Ludwigsburg. Bis heute bilden Kirche und Orgel ein einzigartiges architektonisches Ensemble.

Im Verlauf der Geschichte war allerdings der ursprüngliche Klang des Instruments einer Entwicklung zum Opfer gefallen, die wir heute als problematisch empfinden. Daher wurde sie in den Jahren 2009-2011 im Rahmen einer umfangreichen Restaurierung durch die Firma Lenter (Sachsenheim) in den Ursprungszustand zurückversetzt.

1903: Die spätromantische Walcker-Orgel als zeittypisches Instrument

Zur Zeit seiner Erbauung umfasste das Instrument 43 Register auf drei Manualen und Pedal und hatte zwei Schwellwerke sowie zahlreiche Spielhilfen. Die spätromantische Disposition des Instruments umfasste viele charakteristische 8’-Register in warmen Klangfarben, die mit der Akustik des neuen Kirchenraums bestens harmonierten. Seine rein pneumatische Traktur ermöglichte dem Zeitgeschmack entsprechend eine leichte, feine und weiche Ansprache. Die Stärke des Instruments lag in der hochdifferenzierten Abstufung reicher klanglicher und dynamischer Möglichkeiten, die es besonders für das spätromantisch-sinfonische Repertoire qualifizierten. Noch zu Lebzeiten Max Regers (1873-1916), der zu Heidelberg ein besonderes Verhältnis hatte, sind hier einige seiner Werke aufgeführt worden!

Seit 1920: Veränderung des Orgelgeschmacks in Deutschland

Nach dem 1. Weltkrieg begann sich der Orgelgeschmack in Deutschland unter dem Einfluss von Jugendmusik- und Liturgiebewegung nachhaltig zu verändern: Im Zuge der Wiederentdeckung von Renaissance- und Barockmusik wandte man sich zunehmend gegen die expressive Musik und das romantische Klangideal der unmittelbar zurückliegenden Epoche und forderte stattdessen eine Rückkehr zur klassischen Werkorgel mit barocker Disposition. Nur sie, so meinte man, könne dem liturgischen Bemühen um sachliche Klarheit und polyphone Strenge genügen.

Die Ideale dieser sogenannten Orgelbewegung setzten sich in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg auf breiter Front durch. Dies wirkte sich nicht nur auf die Orgelneubauten aus: Zahlreiche wertvolle romantische Instrumente, wurden jetzt – obwohl keinesfalls kriegsbeschädigt – z. T. bis zur Unkenntlichkeit verändert, um sie dem herben Klangideal und den neobarocken Vorstellungen der Orgelbewegung anzupassen. Auch die Orgel der Christuskirche blieb von diesen Entwicklungen nicht verschont. Einige kleine Änderungen wurden bereits vor dem zweiten Weltkrieg vorgenommen.

1954: Die neobarocke Umarbeitung der Walcker-Orgel

Unter der Federführung von Herbert Haag, damals Organist der Christuskirche und ab 1956 auch Direktor der heutigen Hochschule für Kirchenmusik, erfuhr die Walcker-Orgel 1954 eine tiefgreifende neobarocke Umarbeitung, die sich technisch wie klanglich auswirkte: Die Disposition wurde an der barocken Werkorgel ausgerichtet (ohne allerdings deren andersartige Architektur zu übernehmen). Zwar behielt ein Grundstock von Registern seinen Platz und seine Funktion in der Orgel. Doch jedes Manual erhielt nun zusätzliche Aliquoten, Mixturen und Zungen. Die neuen Register gewann man – wohl aus Sparsamkeitsgründen – vielfach aus den alten. Dazu waren zum Teil brutale Eingriffe in das Pfeifenmaterial nötig: Durch das Abschneiden (!) von Pfeifen entstand beispielsweise aus der romantischen Äoline 8’ eine neobarocke Quinte 2 2/3’. Auf diese Weise verschwanden viele der grundtönigen romantischen Solostimmen zugunsten engmensurierter neobarocker Register. Andere wurden durch Winddruckänderung, Umintonation und Versetzung klanglich stark verändert. Das dritte Manual verlor seine Schwellbarkeit, und die Schwellwirkung des zweiten wurde stark abgeschwächt. Die Traktur wurde auf Elektropneumatik umgestellt.

Die Situation bis 2009: Ein anfälliges, klanglich unbefriedigendes Instrument

Mit dem 1954er Orgelumbau war ein technisch wie klanglich unbefriedigender Zwitter entstanden, da die neobarocken Veränderungen nicht konsequent geschahen:

  1. Ungeachtet ihrer neobarocken Disposition blieb die romantische Grundanlage der Orgel unverändert: Die Pfeifen standen auf pneumatischen Kegelladen, alle Teile der Orgel befinden sich in einem Gehäuse: Das barocke Prinzip dialogisierender Teilwerke war damit nur oberflächlich umgesetzt.
  2. Nach wie vor bestand ein Grundstock an romantischen Registern, die z. T. klanglich entstellt waren. Die neobarocken Ergänzungen waren nur unvollständig ausgeführt und zeigten sich dort, wo sie auf alten Pfeifen basieren, als faule Kompromisse.
  3. Die elektropneumatische Traktur verband Technik aus unterschiedlichsten Zeiten miteinander und war sehr störanfällig.
  4. Beim Umbau wurden teilweise minderwertige Materialien eingesetzt und Provisorien geschaffen. Dies schränkte die Verwendbarkeit des Instruments entscheidend ein.

2009-2011: Die Rekonstruktion des Originalinstruments von 1903 

Nach eingehender Diskussion hat sich der Ältestenkreis der Christuskirche für eine Rekonstruktion des Originalinstruments von 1903 entschieden. Für diese Rückführung sprachen:

  1. Die 1903 erbaute Kirche und ihre Orgel bilden wieder die ursprüngliche klanglich-architektonische Einheit. Zur Zeit ihrer Erbauung war die Orgel optimal auf den Raum eingestimmt.
  2. Durch die Rückkehr zur Originaldisposition ergibt sich eine enorme Ausweitung und Abrundung der klanglichen Möglichkeiten für Gottesdienst und Konzert. Auf der neuen Orgel werden viele Musikstile sehr gut klingen.
  3. Die Rückführung lässt für Heidelberg und die Region ein wichtiges, klanglich ganz besonderes sinfonisches Großinstrument wiederentstehen. Die rekonstruierte Walcker-Orgel ist inzwischen die größte rein pneumatische Orgel in Baden.
  4. Technisch ist die Rückführung zwar aufwändig, doch ist sie problemlos möglich, da die Grundanlage der Orgel den Umbau weitgehend unbeschadet überstanden hat und die meisten Veränderungen an den Pfeifen wieder rückgängig zu machen sind. Hinzu kommt, dass der heutige Orgelbau inzwischen wieder sehr viel Erfahrung mit pneumatischen Trakturen hat. Somit scheint eine lange und zuverlässige Funktion des rekonstruierten Instruments gewährleistet.

Die Durchführung des Projekts

Mit der Rekonstruktion unsere Walcker-Orgel wurde die Orgelbaufirma Lenter aus Sachsenheim beauftragt. Der Umbau begann 2009; am Ostersonntag 2011 wurde die restaurierte Orgel wieder eingeweiht. Im Einzelnen wurden folgende Maßnahmen durchgeführt:

  1. Die Wiederherstellung der Originaldisposition. Dazu mussten noch vorhandene Register in den Urzustand zurückgeführt werden. Ca. 16 Register (von 43) wurden neugebaut. Dies geschah nach historischen Vorbildern.
  2. Die Verstärkung des Schwellkastens vom 2. Manual und die Wiederherstellung des Schwellkastens vom 3. Manual.
  3. Die Umstellung der Traktur auf reine Pneumatik.
  4. Die Wiederherstellung des originalen Winddrucks von 100 mm.
  5. Die Rekonstruktion des ursprünglichen Spieltisches (anhand jüngst wieder aufgefundener  Originalzeichnungen).
  6. Außerdem: Der Einbau einer Setzeranlage, die (in Ergänzung zu den historischen Spielhilfen) die klanglichen Möglichkeiten der Orgel noch einmal deutlich erweitert, da sie blitzschnelle Registerwechsel erlaubt.